Zur sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers beim Filesharing

Das Amtsgericht Bielefeld hat sich mit Urteil vom 06.03.2014, Az. 42 C 368/13, zum Thema des Filesharings in Mehrpersonenhaushalten geäußert und die Vermutung einer Täterschaft des Internetanschlussinhabers letztlich mit lesenswerten und nachvollziehbaren Argumenten verneint.

Die Klägerin des Verfahrens gehört zu den führenden deutschen Tonträgerherstellern. Sie machte gegenüber dem Anschlussinhaber Schadens- und Aufwendungsersatzansprüche wegen der unerlaubten Verwendung eines Doppelalbums in einer Internettauschbörse geltend. Der beklagte Anschlussinhaber wurde zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und zur Zahlung eines Vergleichsbetrages i.H.v. 1.200,00 € aufgefordert. Die Unterlassungserklärung gab der Beklagte ab. Zahlungen leistete er jedoch nicht.

Der Anschlussinhaber gab an, die Tat nicht begangen zu haben. Er habe nie an einer Internettauschbörse teilgenommen. Zum Zeitpunkt der angeblichen Urheberrechtsverletzung hätten in seinem Haushalt seine Ehefrau sowie die beiden Töchter gelebt, außerdem habe sich sein Stiefsohn zu diesem Zeitpunkt dort aufgehalten. Diese Personen hätten selbständig und regelmäßig den Internetanschluss genutzt. Seinen WLAN-Anschluss habe der Anschlussinhaber mit einer WPA/WPA2-Verschlüsselung mit 16-stelligem Schlüssel vor unerlaubtem Zugriff geschützt. Ferner habe er seine Kinder im Vorfeld angewiesen, nicht unerlaubt Daten aus dem Internet herunterzuladen. Er gehe insoweit davon aus, dass sich seine Kinder an das Verbot gehalten hätten. Es habe für ihn daher kein Anlass für verschärfte oder wiederholte Kontrollmaßnahmen bestanden.

Das Amtsgericht wies die Klage vollumfänglich ab. Aus den Entscheidungsgründen:

„Der Beklagte haftet nicht als Täter für die von der Klägerin behauptete Urheberrechtsverletzung. Es fehlt bereits an einem konkreten Tatsachenvortrag der Klägerin, dass der Beklagte tatsächlich die behauptete Urheberrechtsverletzung begangen hat. Insoweit trägt die Klägerin lediglich vor, es bestehe zunächst die tatsächliche Vermutung, dass der Beklagte als Inhaber des Anschlusses auch Nutzer des Anschlusses ist und die Rechtsverletzung selbst begangen hat. Damit verkennt die Klägerin das Wesen der tatsächlichen Vermutung.

[…]

Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 12.05.2010, I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens) soll eine tatsächliche Vermutung dafür bestehen, dass dann, wenn ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (BGH NJW 2010, 2061).

Die Annahme einer derartigen tatsächlichen Vermutung begegnet in Haushalten, in denen mehrere Personen selbständig und unabhängig Zugang zum Internet haben, bereits grundsätzlichen Bedenken. Die Aufstellung einer tatsächlichen Vermutung setzt voraus, dass es einen empirisch gesicherten Erfahrungssatz aufgrund allgemeiner Lebensumstände dahingehend gibt, dass ein Anschlussinhaber seinen Internetzugang in erster Linie nutzt und über Art und Weise der Nutzung bestimmt und diese mit Tatherrschaft bewusst kontrolliert. Ein derartiger Erfahrungssatz existiert nicht. Die alltägliche Erfahrung in einer Gesellschaft, in der das Internet einen immer größeren Anteil einnimmt und nicht mehr wegzudenken ist, belegt vielmehr das Gegenteil. Wenn sich der Internetanschluss in einem Mehrpersonenhaushalt befindet, entspricht es vielmehr üblicher Lebenserfahrung, dass jeder Mitbewohner das Internet selbständig nutzen darf, ohne dass der Anschlussinhaber Art und Umfang der Nutzung bewusst kontrolliert (AG Düsseldorf, Urteil v. 19.11.2013, 57 C 3144/13).
Der Anschlussinhaber genügt daher in diesen Fällen seiner sekundären Darlegungslast, wenn er seine Täterschaft bestreitet und darlegt, dass seine Hausgenossen selbständig auf den Internetanschluss zugreifen können, weil sich daraus bereits die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als die seiner Alleintäterschaft ergibt (OLG Hamm, Beschluss v. 27.10.2011, I – 22 W 82/11; OLG Hamm, Beschluss v. 04.11.2013, I – 22 W 60/13; OLG Köln NJW-RR 2012, 1327; AG Hamburg, Urteil v. 30.10.2013, 31 C 20/13; AG München, Urteil v. 31.10.2013, 155 C 9298/13).

Weitergehende Angaben werden in einem Mehrpersonenhaushalt vom Anschlussinhaber nicht im Rahmen der sekundären Darlegungslast verlangt werden können, da der Anschlussinhaber ohnehin nur zu Tatsachen vortragen kann, die er üblicherweise kraft Sachnähe vortragen kann. Eigene Ermittlungen dahingehend, wer möglicherweise als Täter des behaupteten Urheberrechtsverstoßes in Betracht kommt, hat der Anschlussinhaber aber nicht durchzuführen. Auch eine Überwachung der Familie bei der Internetnutzung kann vom Anschlussinhaber nicht verlangt werden, da dies mit dem grundrechtlichen Schutz der Familie nach Artikel 6 Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist.

[…]

Sowohl bei Mehrpersonen- als auch bei einem 1-Personenhaushalt ist mit der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers keine Beweislastumkehr verbunden. Die sekundäre Darlegungslast umfasst nicht die Pflicht, den beaupteten Sachverhalt auch zu beweisen. Ein der sekundären Darlegungslast genügender Vortrag hat vielmehr zur Folge, dass der grundsätzlich Beweisbelastete seine Behauptungen beweisen muss. Hierin ist keine unzumutbare Belastung des Anspruchstellers zu sehen. Es gehört vielmehr zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Zivilprozesses, dass der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenen Voraussetzungen trägt. Abweichungen sind nur im Einzelfall veranlasst und dürfen nicht dazu führen, dass der Beklagte sich regelmäßig zu entlasten hat (AG Düsseldorf, Urteil v. 19.11.2013, 57 C 3144/13). Eine anderslautende Rechtsprechung führt quasi zu einer Gefährdungshaftung, indem dem Anschlussinhaber eine den Grundlagen des Zivilprozesses widersprechende praktisch nicht erfüllbare sekundäre Darlegungslast auferlegt wird“.

Eine begrüßenswerte und „nah am Leben“ befindliche Entscheidung. Bemerkenswert ist vor allem, dass das Amtsgericht die vom BGH statuierte Vermutung der Verantwortlichkeit eines Anschlussinhabers für Rechtsverletzungen, die von seinem Internetanschluss aus begangen werden, jedenfalls für Mehrpersonenhaushalte als generell ungeeignet ansieht. Diese Entscheidung wird den Rechteinhabern die Durchsetzung ihrer Rechte natürlich erschweren – was angesichts der regelmäßig weit überzogenen Forderungen, die hier gestellt werden, aber auch nicht weiter schade ist. Das „Neuland Internet“ ist eben gerade keine Gefahrenquelle per se, zu deren Überwachung auf Rechtsmissbrauch der Anschlussinhaber gegenüber seine Familie oder anderen Mitbewohnern verpflichtet wäre.