Forderung zunächst unstreitig – Kosten Inkassodienst und spätere Kosten Rechtsanwalt können beide berechtigt sein!

Der Bundesgerichtshof hatte sich in seinem Urteil vom 7. Dezember 2022 – VIII ZR 81/21 – mit der Frage zu beschäftigen, ob sowohl die Kosten eines Inkassodienstes als auch die Kosten eines später eingeschalteten Rechtsanwalts gemeinsam geltend gemacht werden dürfen.

Der Bundesgerichtshof  hat insoweit entschieden:

„Beauftragt ein Gläubiger einen Inkassodienstleister mit der Einziehung einer – zunächst – unbestrittenen Forderung nach Verzugseintritt des Schuldners, sind dessen Kosten grundsätzlich auch dann in voller Höhe erstattungsfähig, wenn der Gläubiger aufgrund eines später erfolgten (erstmaligen) Bestreitens der Forderung zu deren weiteren – gerichtlichen – Durchsetzung einen Rechtsanwalt einschaltet.“

Der Bundesgerichtshof hat immer wieder entschieden, dass der Verursacher des Schadens die Kosten der Rechtsverfolgung ersetzen muss, die aus Sicht des Geschädigten notwendig und angemessen waren, um seine Rechte wahrzunehmen. Es ist entscheidend, dass eine vernünftige und wirtschaftlich denkende Person diese Kosten als angemessen erachten würde. Dabei sollten keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Es kommt darauf an, wie der Geschädigte den voraussichtlichen Verlauf des Schadensfalls aus seiner Sicht einschätzt. Es ist anerkannt, dass die Tatsache, dass der Schuldner nicht auf Zahlungsaufforderungen des Gläubigers reagiert, allein nicht ausreicht, um außergerichtliche Beitreibungsbemühungen als erfolglos anzusehen. Insbesondere in Fällen, in denen der Grund für die Nichtzahlung unbekannt bleibt, ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts daher zweckmäßig.

In Bezug auf die Beauftragung eines Inkassodienstleisters gilt dasselbe. Vor dem Hintergrund, dass der Schuldner die Forderungen nicht bestritten hatte, durfte die Gläubigerin davon ausgehen, dass sie durch die Beauftragung eines Inkassodienstleisters den Schuldner zur (Raten)Zahlung bewegen oder ihre Forderung im Mahnverfahren durch den Inkassodienstleister vertreten würde titulieren können.

Aber können auch sowohl Inkasso- als auch Rechtsanwaltskosten parallel ersetzt verlangt werden?

Ja, so der BGH: Anders als noch die Vorinstanz, das OLG Schleswig, entschieden hatte, könne die Gläubigerin die ungekürzte Verfahrensgebühr des Rechtsanwalts und die beim Inkassodienstleister angefallene Geschäftsgebühr in voller Höhe ersetzt verlangen. Die Gläubigerin dürfe sowohl einen Inkassodienstleister mit der außergerichtlichen Beitreibung ihrer Forderungen beauftragen und dadurch höhere Kosten im Vergleich zur direkten Beauftragung eines Rechtsanwalts verursachen. Sie verstoße damit nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Bestimmung des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB setze voraus, dass der Geschädigte schuldhaft gehandelt hat, indem er es unterlassen hat, einen Schaden abzuwenden oder zu mindern. Dieses Verschulden bedeutet nicht, dass der Geschädigte eine Leistungspflicht gegenüber einer anderen Person verletzt hat, sondern es bezieht sich auf eine Verletzung einer Obliegenheit, die im eigenen Interesse des Geschädigten besteht. Eine Verletzung der Obliegenheit kann nur dann angenommen werden, wenn der Geschädigte entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch an seiner Stelle zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt als maßgeblicher Abgrenzungsmaßstab.

Die Gläubigerin hat gemäß diesen Grundsätzen keine Obliegenheitsverletzung begangen.

Der Schuldner hatte zunächst außergerichtlich – und auch später im gerichtlichen Verfahren – keine Einwände gegen die Forderungen der Gläubigerin erhoben. Er hatte ursprünglich sogar zugesagt, die Forderung auszugleichen. Somit konnte die Gläubigerin zum Zeitpunkt der Beauftragung des Inkassodienstleisters davon ausgehen, dass der Schuldner nach deren Einschaltung seine Schuld begleichen werde oder dass ihre Forderungen im Mahnverfahren tituliert werden könnten. Das OLG Schleswig verkenne durch seine entgegengesetzte Auffassung, dass ein Gläubiger stets verpflichtet sei, aus Kostengründen nur einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung seiner Forderungen zu beauftragen, unabhängig von den Umständen des Einzelfalls, die grundlegenden Entscheidungen des Gesetzgebers zur Rolle und den Befugnissen von Inkassodienstleistern. Diese dürften durch die Annahme eines Mitverschuldens  nicht untergraben werden. Die außergerichtliche Forderungseinziehung sei nach der Wertung des Gesetzgebers gerade nicht allein Rechtsanwälten vorbehalten. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG dürfen registrierte Personen Inkassodienstleistungen erbringen, was in prozessualer Hinsicht durch eine auf unstreitige Verfahrensabschnitte beschränkte Vertretungsbefugnis im Mahnverfahren nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO ergänzt wird.

Zumindest in den Fällen, in denen der Schuldner keine Einwände gegen eine Forderung erhebt, ggf. sogar ankündigt, diese begleichen zu wollen, darf der Gläubiger zunächst sowohl ein Inkassounternehmen als auch später einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung und Durchsetzung der Forderung beauftragen und kann beide Kosten vom Schuldner ersetzt verlangen.