Wettbewerbsrecht: Abwerben von Kunden durch öffentlich zugängliches Adressmaterial

Die Problematik begegnet einem im Wettbewerbsrecht immer wieder: ein Mitarbeiter verlässt ein Unternehmen und möchte ein eigenes Unternehmen gründen, mit dem er in Konkurrenz zum vormaligen Arbeitgeber tritt. Regelmäßig ist es für diesen Unternehmer von Vorteil, wenn er hierbei auf Kunden zurückgreifen kann, die er bereits bei seinem vormaligen Arbeitgeber betreut hat. Nun ist das Abwerben von Kunden jedoch einer der Tatbestände, die das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb [UWG] unter gewissen Voraussetzungen als unlauter und damit wettbewerbswidrig ansieht.

Das OLG Frankfurt a.M. hat nunmehr mit Urteil vom 21.1.2016, Az. 6 U 21/15, entschieden, dass das Abwerben von Kunden dann unlauter und damit wettbewerbswidrig sein kann, wenn der Werbende mit dem von der Abwerbung Betroffenen in einem Vertragsverhältnis steht, das ihn zur Loyalität verpflichtet oder wenn das Abwerben mithilfe von anvertrauten Adressmaterial erfolgt. Adressmaterial sei jedoch dann nicht vertraulich, so das OLG Frankfurt a.M., wenn es – wie etwa bei Tankstellen – im Internet öffentlich zugänglich ist. Dies sei selbst an der Fall, wenn die Adressen für einen Rundbrief nur unter gewissem Aufwand zusammengetragen werden können.

So hat das OLG Frankfurt weiter ausgeführt:

Das Abwerben von Kunden ist als Fall des Behinderungswettbewerbs nur bei Hinzutreten besonderer, die Unlauterkeit begründender Umstände wettbewerbswidrig. Diese liegen insbesondere dann vor, wenn der Werbende in einem Vertragsverhältnis zu dem von der Abwerbung Betroffenen steht, das ihn zu einer gewissen Loyalität verpflichtet, etwa einem auslaufenden Arbeitsverhältnis, oder wenn er das ihm anvertraute wertvolle Adressmaterial zweckwidrig und zielgerichtet für die Abwerbung einsetzt (BGH, GRUR 2004, 704, 705 [BGH 22.04.2004 – I ZR 303/01] – Verabschiedungsschreiben). Die Verletzung eines vertraglichen Wettbewerbsverbots führt nicht ohne weiteres zur Unlauterkeit der Abwerbung.
Die Beklagte hat die X-Tankstellen angeschrieben und ihnen – ohne dies deutlich zu sagen – eine künftige direkte vertragliche Zusammenarbeit ohne Zwischenschaltung der Klägerin angeboten. Dabei hat sie nicht bestritten, wegen der Adressen auf die Daten zurückgegriffen zu haben, die ihr aus der Zusammenarbeit mit der Klägerin bekannt sind.

Mit Rücksicht darauf, dass die Adressen der X-Tankstellen öffentlich zugänglich über das Internet abrufbar sind, handelt es sich nicht um anvertrautes, wertvolles Adressmaterial im Sinne der Rechtsprechung. Es mag mit einem gewissen Aufwand verbunden sein, die Adressen aus dem Internet zusammenzusuchen. Andererseits ist es für die Versendung eines solchen Rundschreibens nicht erforderlich, den jeweiligen Tankstellenpächter im Adressfeld namentlich zu nennen. Die Beklagte war lediglich auf Ort und Straße der einzelnen X-Tankstellen angewiesen.

Sicher hatte die Beklagte zum Zeitpunkt der Versendung des Schreibens eine gewisse Loyalitätspflicht gegenüber der Klägerin; diese geht aber nicht soweit, dass sie den Tankstellen nicht die weitere Belieferung nach Beendigung der Zusammenarbeit mit der Klägerin anbieten durfte.

Das Rundschreiben ist auch nicht deshalb als unlauterer Behinderungswettbewerb einzustufen, weil im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung ein irreführender Charakter des Rundschreibens einzubeziehen wäre. Diesen irreführenden Charakter vermag der Senat nicht zu erkennen. Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass das Rundschreiben den Umstand geflissentlich ignoriert, dass die Beklagte in der Vergangenheit mit den Pächtern der Tankstelle keine direkte vertragliche Zusammenarbeit hatte. Die angebotene Jahresrückvergütung basierend auf den Backwarenumsatz in der Zeit von November 2012 bis Oktober 2013 erweckt im Gegenteil bei dem unbefangenen Leser den Eindruck, dass es schon in dieser Zeit eine direkte vertragliche Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und den Pächtern gegeben hat. Gegen eine bei den Pächtern tatsächlich ausgelöste Fehlvorstellung spricht jedoch, dass ihre Belieferung zwar direkt von der Beklagten erfolgte, sie die Rechnungen für die Backwaren jedoch von der Klägerin erhalten haben. Damit ist auch für den juristisch nicht vorgebildeten Pächter einer Tankstelle klar, dass Vertragspartner auch in Bezug auf die Backwaren die Klägerin ist und nicht der Lieferant. Entscheidend kommt hinzu, dass die Klägerin selbst die Lieferanten mit Schreiben vom 13.11. und 16.12.2013, also im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Rundschreiben, darüber informiert hat, dass der Vertrag der Beklagten mit der Klägerin zum 31.12.2013 ausläuft und die Klägerin mit einem anderen Lieferanten einen Vertrag geschlossen hat. Damit war den Pächtern nochmals vor Augen geführt worden, dass sie nicht mit der Beklagten, sondern mit der Klägerin vertraglich verbunden sind.