Cybermobbing – 12jähriger haftet für Persönlichkeitsrechtsverletzung!

Das LG Memmingen hatte sich in seinem Urteil vom 03.02.2015, Az. 21 O 1761/13, mit einer nicht alltäglichen Frage zu beschäftigen: Haftet ein gerade mal 12 1/2 jähriges Kind auf Unterlassung und Schmerzensgeld, wenn es ein anderes Kind auf Facebook mittels sog. Cybermobbing quält?

Cybermobbing – wie sich Eltern und Kinder wehren können

Eltern, deren Kind von Mitschülern belästigt und gehänselt werden, sind oft der Meinung, dass man hiergegen juristisch nichts machen könne. Schließlich handele es sich ja um Kinder, die seien nicht strafmündig. Es ist richtig, dass die Strafmündigkeit erst mit 14 Jahren beginnt. Erst dann kann ein Kind bzw. Jugendlicher strafrechtlich verurteilt werden. Davon zu unterscheiden ist jedoch die sog. Deliktsfähigkeit. Diese ist Voraussetzung, um zivilrechtlich haftbar gemacht zu werden, wenn man Rechte Dritter verletzt hat. Die Deliktsfähigkeit beginnt mit der Vollendung des 7. Lebensjahres. Und wenn es auch richtig ist, dass man nicht wegen jeder Bagatelle zum Rechtsanwalt gehen muss, so gibt es Fälle, die sehr schwerwiegend sind. Und wenn man ein klärendes Gespräch zwischen den Eltern des betroffenen Kindes und den Eltern des Täters nicht ausreicht, um die Lage zu entspannen, dann sollte man auch den Weg zum Rechtsanwalt nicht scheuen, um seinem Kind zu helfen. Der vorliegende Fall war ein solcher Fall. Das betroffene Kind litt schwer unter den Anfeindungen des Täters. Dieser hatte, wie sich schon aus dem Tenor der Entscheidung zeigt, sein Opfer schwer beleidigt:

Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- € ab sofort zu unterlassen, ohne Einwilligung des Klägers

a) dessen Namen oder Foto zur Errichtung eines Nutzer-Profils bei Facebook oder einem sonstigem sozialen Netzwerk zu nutzen;

b) E-Mails an diesen zu senden mit nachfolgenden Inhalten

“Fick dich du Wixxer du fetter Zwidder kill dich selber und am besten heute noch!” “Und du bis häßlich dass ich kptzen muss!!”

“DU FETTSACK OHNE EIN GESCHLECHTSTEIL Fick dich!!!!!” oder wesensgleichen Inhalten

c) identische oder wesensgleiche Äußerungen in Bezug auf den Kläger zu tätigen wie

– Der Kläger habe die Grundschule “Opfergrundschule” besucht;

– Der Kläger habe den Kindergarten “Idiotenkindergarten” besucht;

– Der Kläger habe dort Dummheit studiert;

– Der Kläger habe irgendwelche homosexuellen Orientierungen;

– Der Kläger vergewaltige kleine Kinder;

– Der Kläger wiege 100 Tonnen und ihm wüchsen Brüste;

– Der Kläger zeige seine Exkremente auf Facebook.“

Das Opfer litt so schwer unter diesen Anfeindungen, dass es sich sogar in stationäre psychotherapeutische Behandlung begeben musste. Folgerichtig wurde der Täter auch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.500,00 € verurteilt. Nicht gerade viel, angesichts der Schwere der oben zitierten Anfeindungen? Das stimmt, aber das LG Memmingen hat hier, wie ich finde treffend, herausgearbeitet, dass man an Kinder nicht dieselben Anforderungen stellen kann wie an Erwachsene. Zwischen Kindern und Jugendlichen, so das LG, sei ein rauer Umgangston grundsätzlich üblicher:

Die Kammer ist sich durchaus bewusst, dass Verletzungen des Persönlichkeitsrechtes unter Kindern nicht uneingeschränkt nach den für Volljährigen geltenden Maßstäben beurteilt werden können. Denn unter Kindern sind der Gebrauch von Schimpfwörtern oder von Formulierungen, die strafrechtlich als Beleidigungen einzuordnen sind, oft üblich. Sie sind in gewissem Umfang Teil einer jugendtümlichen Sprache und geprägt auch von einem noch kindlichen bzw. jugendtypischen Verhalten, in dem sich häufig eine gewisse Sorglosigkeit der Äußerung offenbart. Schließlich wird Kindern auch die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts und die mit seiner Verletzung verbundenen Gefahren noch nicht in dem Umfang bewusst sein, wie man das bei einem Erwachsenen erwarten kann.“

Dieses Maß des Noch-Zulässigen sei im vorliegenden Fall jedoch weit überschritten, so das LG Memmingen. Nicht zuletzt deswegen, weil die Beleidigungen nicht nur mündlich unter vier Augen oder in einer kleinen Gruppe, sondern, wie es beim Cybermobbing eben charakteristisch ist, im Internet verbreitet und gespeichert werden und so einer unbegrenzten Öffentlichkeit zugänglich werden:

Vorliegend beschränkt sich das Verhalten des Beklagten aber bei weitem nicht auf solche – im Regelfall vereinzelte – kind- und jugendtypische Äußerungen gegenüber dem Betroffenen oder vielleicht in einer kleinen Gruppe:

Der erste entscheidende Unterschied liegt vielmehr darin, dass die entsprechenden Äußerungen über ein Internetportal gemacht wurden und damit einem breiten Nutzerkreis im Prinzip dauerhaft zugänglich sind. Dies verstärkt die Wirkung entsprechender Äußerungen gegenüber einer nur mündlichen und damit in der Wirkung flüchtigen Aüßerung ganz massiv.

Als zweiter Unterschied kommt hinzu, dass in den Äußerungen auch Beleidigungen und Behauptungen enthalten waren, die den Kläger im Kern seiner Persönlichkeit treffen und verletzen und deshalb so nach Auffassung der Kammer auch dann nicht hingenommen werden müssen, wenn sie von einem anderen – deliktsfähigem – Kind gemacht worden sind. Es geht nicht an, einen Mitschüler, der bereits erkennbar (vorangegangene Attacken) unter seinem stärkeren Körpergewicht leiden musste, im Internet als “Fat-Opfer” darzustellen, es geht erst recht nicht an, einem 12 Jahre alten Buben zu unterstellen, er vergewaltige kleine Kinder – dies stellt den Vorwurf eines ganz massiv strafrechtlichen Verhaltens dar – und das Ganze auch noch mit einem Bild spielender Kinder (im Sandkasten) zu unterlegen, das nach Auffassung der Kammer durchaus auch sexualbezogen gedeutet werden kann, es geht auch nicht an, die vermeintlichen Exkremente eines anderen Kindes abzubilden und dieses Kind als “Wixxer” und “fetten Zwidder” zu bezeichnen, und es geht erstrecht nicht an, diesem Kind das Lebensrecht mit der Formulierung abzusprechen, “es solle sich selbst und am besten gleich umbringen”. Hier handelt es sich vielmehr um Kernbereiche der Persönlichkeit, deren umfassender Schutz Aufgabe staatlicher Schutzgewährung ist.

Hinzu kommt schließlich noch, dass solche Äußerungen nicht nur eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes darstellen, sondern dass sie durch die Verfälschung des Internetaccounts auch noch mit nicht unterheblicher kriminieller Energie unter Verwendung eines unberechtigt benutzten Bildes erstellt worden sind. Auch dies muss ein anderes Kind als Verhalten eines Gleichaltrigen nichtg hinnehmen.

Dies alles rechtfertigt es, in einem solchen Gesamtverhalten eine – und zwar massive – Verletzung des Persönlichkeitsrechtes zu sehen und einem entsprechenden Unterlassungsanspruch stattzugeben.“

Um die Deliktsfähigkeit eines Kindes zu bejahen ist es auch erforderlich, auf seine individuelle Einsichtsfähigkeit abzustellen; alleine die Tatsache, dass es 7 Jahre oder älter ist, genügt für die Bejahung einer Haftung nicht automatisch. Hierzu hat das LG Memmingen ausgeführt:

Der Beklagte war damals etwa 12 1/2 Jahre alt, hat mit dem Gymnasium eine herausgehobene Schule besucht und war zudem durch die vom Zeugen A… bestätigten Unterrichts- und Besprechungsthemen über das Thema “Cyber-Mobbing” informiert und sensibilisiert worden.

Die Kammer ist der Überzeugung – auch aufgrund des Auftretens des Beklagten in der Verhandlung -, dass der Beklagte bereits im August 2013 nach seiner individuellen Verstandesentwicklung die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht ebenso hatte wie die intellektuelle Fähigkeit, die Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen und sich auch den Folgen seines Verhaltens bewusst zu sein.

Sie sind von Cybermobbing betroffen? Sie sind selber Opfer von beleidigenden Attacken in sozialen Netzewerken o.ä.? Oder Ihr Kind ist betroffen und Sie kommen mit „normalen“ Mitteln nicht weiter und möchten sich über Ihre juristischen Möglichkeiten informieren? Gerne stehe ich Ihnen für ein beratendes Gespräch und eine Vertretung Ihrer und der Interessen Ihres Kindes zur Verfügung.