Mobilfunk-Recht: Kostenbegrenzung durch „Cut Off“ & Fürsorgepflicht des Anbieters, AG Bonn, Urteil vom 21.11.2014

Das AG Bonn hat sich mit Urteil vom 21.11.2014, Az. 104 C 432/13 u.a. mit den Fragen zu beschäftigen, ob ein Mobilfunk-Anbieter im Rahmen seiner vertraglichen Fürsorgepflicht durch einen sog. „Cut Off“ dafür Sorge tragen muss, dass es bei seinem Kunden nicht zu einer Kostenexplosion kommt.  Dies hat das AG Bonn im Ergebnis bejaht und die Forderung des klagenden Mobilfunk-Unternehmens von 1.642,21 € auf nur 312,11 € gekürzt. Das Mobilfunk-Unternehmen hatte seinen Kunden auf Zahlung verklagt, da es behauptet hatte, dieser habe durch die Nutzung des Internets über sein Mobiltelefon innerhalb weniger Stunden Kosten in der vorgenannten Höhe verursacht. Der Beklagte hat behauptet, er habe diese Kosten nicht wissent- und willentlich verursacht. Ob dies tatsächlich nicht der Fall war, musste das AG Bonn letztlich gar nicht entscheiden, da es annahm, das Mobilfunk-Unternehmen habe seine vertraglichen Pflichten verletzt, indem es die Internetverbindung des Beklagten nicht gekappt habe. Aus den Urteilsgründen:

Die Klägerin hat ihre vertraglichen Nebenpflichten dadurch verletzt, dass sie den dem Smartphone des Beklagten zugehörigen Internetzugang trotz dessen ungewöhnlichem Nutzungsverhaltens, welches zu einer Kostenexplosion führte, nicht ab einem Betrag in Höhe von 178,50 € sperrte oder den Beklagten zuvor etwa per SMS warnte.
Zwar ist im Rahmen der Privatautonomie grundsätzlich jede Partei selbst dafür verantwortlich, die eigenen Interessen wahrzunehmen und sich die für sie relevanten Informationen zu beschaffen. Jedoch ist es allgemein anerkannt, dass in einem Dauerschuldverhältnis, in dem regelmäßig und kurzfristig Waren, Leistungen und Geldzahlungen ausgetauscht werden, die vertragliche Nebenpflicht beider Vertragspartner besteht, für eine möglichst reibungslose und transparente Abwicklung des Vertragsverhältnisses zu sorgen (LG Bonn, K&R 2010, 679 ff). Dazu gehört, dass Störungen kurzzeitig beseitigt werden, damit auf keiner Seite durch die weiterlaufenden Austauschbeziehungen größere Schäden oder Ausfälle entstehen können. Insoweit trifft jeden Vertragspartner die Fürsorgepflicht, möglichst Schaden von der anderen Seite abzuwenden und deshalb kurzfristig auf ein schadensträchtiges Verhalten der anderen Seite zu reagieren (LG Bonn a.a.O.) Diese Pflicht besteht bei einem Mobilfunkanbieter unabhängig davon, ob dieser dem Kunden ein Mobiltelefon zur Verfügung gestellt hat oder nicht, da sie unmittelbar aus dem Dauerschuldverhältnis herrührt, welches nicht daran gekoppelt ist, ob durch den Mobilfunkanbieter zusätzlich ein Endgerät zur Verfügung gestellt wird.

(…)

Des Weiteren ergab sich im hiesigen Fall für die Klägerin die Fürsorgepflicht aus dem ungewöhnlichen Internet-Nutzungsverhalten des Beklagten, welches im krassen Widerspruch zu dem von ihm gewählten „Internet by call“-Tarif stand und zu einer Kostenexplosion auf Seiten des Beklagten derart führte, dass die Zeit vom 07.09.2010 bis 13.09.2010 by call abgerechnet wurde, ab einem Betrag von 150,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer, mithin 178,50 €, einen sogenannten „Cut-off“ zu schaffen, welcher die Verbindung kurzzeitig unterbricht. Es musste sich der Klägerin aufgrund der Diskrepanz zwischen dem Nutzungsverhalten und dem Internet-Tarif der Eindruck aufdrängen, dass auf Seiten des Beklagten eine offensichtlich ungewollte Selbstschädigung vorlag, denn ein vernünftiger Kunde hätte bei diesem Nutzungsverhalten zweifellos eine Flatrate gewählt.

(…)

Der Betrag an dem die Sperre in Form eines „Cut-Offs“ durch die Klägerin hätte erfolgen müssen orientiert sich dabei an dem durch die EU-Roaming Verordnung II (EG) Nr. 544/2009 seit dem 01.03.2010 vorgegebenen Betrag von 50,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer. Die vorgenannte Verordnung sieht eine automatische technische Kostenbegrenzungsfunkton in Form eines „Cut-Offs“ für den Fall eines im Ausland im Internet eingewählten Mobiltelefons vor. Für ein im Inland automatisch eingewähltes Mobiltelefon war dieser Betrag auf das Dreifache des Betrages der EU-Verordnung anzuheben, da sich -anders als im Ausland- dem Mobilfunkanbieter eine automatische Einwahl im Inland und damit eine ungewollte Selbstschädigung des Kunden nicht so schnell aufdrängen muss wie im Ausland. Eine Internetnutzung im Inland ist im Verhältnis zu einer Nutzung im Ausland der gewöhnlichere Fall.

Rechnungen von Mobilfunk-Unternehmen über derartige „Mondbeträge“ werden in Zukunft wohl eine immer kleinere Rolle spielen. Zum einen stammen Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art meistens noch aus den zurückliegenden Jahren. Inzwischen ist die Rechtsprechung ziemlich eindeutig, was die Pflichten von Mobilfunk-Betreibern betrifft. In den Fällen, in denen der Mobilfunk-Anbieter nicht eingegriffen hat, während es beim Kunden zu einem ungewöhnlichen Nutzungsverhalten mit hohen Kosten kam, geht der Anbieter inzwischen kaum noch vor Gericht, weil die Rechtslage für ihn sehr ungünstig ist. Es kommen jedoch z.B. immer wieder Fälle vor, so auch kürzlich in meiner Kanzlei, in denen sich der Kunde weder im Inland, noch im EU-Ausland befunden hat, sondern eben im Nicht-EU-Ausland. Hier greifen die EU-Regelungen grundsätzlich nicht, so dass es hier immer noch zu absurd hohen Rechnungen kommen kann, wenn der Kunde nicht auf sein Nutzungsverhalten achtet. So hat z.B. ein Mandant von mir eine Rechnung im vierstelligen Bereich erhalten, weil sich sein Mobiltelefon von ihm unbemerkt in die Satellitenverbindung eines in internationalen Gewässern befindlichen Kreuzfahrtschiffs eingewählt hat. Auch hier besteht jedoch immer Grund zur Hoffnung: Setzt man sich früh genug mit anwaltlicher Unterstützung mit dem Mobilfunk-Anbieter in Verbindung, so ist dieser im Regefall zu einem Entgegenkommen bereit. Auch in dem hier vorliegenden Fall ist eine vergleichsweise Einigung über den hälftigen Betrag in Aussicht.

Sie haben von Ihrem Mobilfunk-Anbieter eine viel zu hohe Rechnung erhalten? Setzen Sie sich gerne mit mir in Verbindung; ich helfe Ihnen gerne.

Quelle:  AG Bonn, Urteil vom 21.11.2014, Az. 104 C 432/13